
In revidiertem Text herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Georg Lasson, Leipzig, Verlag der Dürr’schen Buchhandlung, 1907.
Hundert Jahre sind vergangen, seit Hegels großes Erstlingswerk an das Licht getreten ist. Daß dieser Zeitpunkt nicht vorübergehe, ohne eine neue Auflage des seit langem gänzlich vergrüfenen Werkes zuwege zu bringen, mußte als eine Ehrenpflicht .gegen einen von Deutschlands großen Denkern angesehen werden. Den Herausgeber hat es mit hoher Freude erfüllt, daß es ihm vergönnt war, dieser Pflicht zu genügen. In welchem Sinne er die Aufgabe, die ihm mit dem Neudrucke des Hegeischen Textes gestellt war, verstanden und zu lösen versucht hat, darüber ist am Schlusse dieses Buches ein kurzer Bericht zu finden.
Der Notwendigkeit, dem Werke Hegels eine Einleitung vorauszuschicken, die den Leser vorbereitend auf den Standpunkt und zu dem Inhalt der Phänomenologie hinführen könnte, hat sich der Herausgeber nur mit Zagen gefügt. Dem Riesengeiste Hegels sich nicht gewachsen zu fühlen, ist gewiß keine falsche Bescheidenheit. Indessen mußte, nachdem uns über die Jugendgeschichte des Denkers in den letzten Jahren authentisches Material vorgelegt worden ist, der Versuch unternommen werden, den Werdegang Hegels bis zu dem Punkte zu verfolgen, zu dem wir ihn in der Phänomenologie gelangt sehen. Das hier gegebene Referat über die Arbeiten Hegels, die diesem Werke vorhergegangen sind, hat nicht die Absicht, sie nach dem ganzen Reichtum ihres Inhalts zu kennzeichnen, sondern nur die Seiten hervorzuheben durch die sie auf jenes Werk vorausweisen. Die Bemerkungen über die Phänomenologie selber mußten sich an das Allgemeine des Werkes halten und sich auf die Absicht beschränken, zu seiner richtigen Auffassung im ganzen einiges beizutragen.
Gewiß ist ein ausführlicher Kommentar zur Phänomenologie ein wissenschaftliches Bedürfnis. Gewiß aber ist auch, “daß diesem Bedürfnis nicht die Arbeit3leistung eines gewöhnlichen Menschenlebens, sondern nur das Zusammenwirken mehrerer genügen kann”. Wilhelm Purpus, dem wir in dieser Meinung völlig beipflichten, hat in seinem ausgezeichneten Kommentar zu dem ersten kurzen Abschnitt der Phänomenologie gezeigt, daß eine solche Arbeit leicht den fünffachen Umfang des Werkes selber annehmen kann. Außer seiner Abhandlung wären noch Gablers Kritik des Bewußtseins und Baillies Origin and significance of Hegel’s Logic, 1901, als solche Schriften zu nennen, die genauer in die Gedankenwelt der Phänomenologie einzuführen geeignet sind.
Daß der Herausgeber ernstlich bemüht gewesen ist, die schwierige Materie so verständlich wie möglich darzustellen, darf er mit bestem Gewissen versichern. Sollte sein Bemühen hinter seinem Ziele zurückgeblieben sein, so wolle man ihm gütigst in Anrechnung bringen, daß ihm zu Arbeiten, die eine volle Kraft in Anspruch nehmen und eigentlich als reüe Früchte aus wiederholter Behandlung im akademischen Kolleg hervorgehen sollten, nur die spärlichen Mußestunden des geistlichen Amtes in einer großstädtischen Massengemeinde zur Verfügung stehen.
Berlin, im September 1907.
Georg Lasson.
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